"Otto muss zum Kundentermin"

Zeus, bedecke deine Himmel! Der festangestellte Otto Normalverbraucher wird von seinem Handywecker jäh aus einem schönen Traum gerissen. Durch sein gerütteltes Maß an unterbewusster Kreativität träumte Otto davon, dass es in Wirklichkeit noch gar nicht 6.30 Uhr sondern erst 6.12 Uhr ist. Aber er ist nicht zornig auf das kleine Telefon, da er sich als Weckton einen Remix eines beliebten deutschen Schlagers ausgesucht hat.

Nachdem er sich aus einem umweltfreundlichen Einweg-Kännchen eine garstige Kaffeespezialität zubereitet hat, zieht es ihn sogleich in die Nasszelle. Er greift nach Gel und Haarspray, ist sich aber der Tatsache bewusst, dass der Versuch, sich selbst eine schöne Frisur zu basteln, fehlschlagen wird. Aus seiner öden Haarstruktur etwas Anständiges zu zaubern würde wohl so erfolgreich verlaufen, wie in Rapunzels Haar Drogen nachzuweisen.

Schnell hetzt Otto aus dem Haus und in den öffentlichen Nahverkehr. Man könnte nun denken, dass er sich wenige Minuten des Innehaltens gönnen kann, doch sein Gehirn steht unter Zugzwang. Er denkt darüber nach, warum er im Onlinerollenspiel seines Vertrauens für seinen Nickname belächelt wurde. Was gibt es denn an "Konsument1987" auszusetzen? Just in diesem Moment boxt ihm ein gemeines Kind in seine Manneskraft und lacht verächtlich.

Als der Weltschmerz des kindlichen Fausthiebes seine Synapsen erreicht, fällt dem geschundenen Otto ein, dass er wichtig Unterlagen vergessen hat. Empört und frustriert verlässt er die Straßenbahn und steuert alternativlos auf einen Supermarkt zu. Wie gerne würde er sich an der Salatbar etws für die Arbeit mitnehmen. Doch der Normalverbraucher hat Angst, dass die anderen Ladengäste die Komposition seines Salates kritisieren.

Stattdessen gibt er den Behälter seines Erfrischungsgetränkes mit Steviaextrakt zurück. Plötzlich bricht sein Vorgesetzter aus dem Unterholz des Gemüseregals hervor und platziert ein Witz, über den Otto lachen muss, er ist ja schließlich sein Untergebener.

"Weißste was, weißte? IT-Girl verhält sich zu fettem Manager wie Supermarktkunde zu Leergutautomat. Gibst du ihm deine Dose, lässt er ein paar Scheine springen!"

Der Normalverbraucher ringt sich ein gequältes Lächeln ab. Anschließend gesteht er seinem Chef, dass er wichtiges Material für das Kundenmeeting zu Hause vergessen hat.

Der zornige Manager schickt den traurigen Otto sofort wieder zurück und spricht eine kostenlose Verwarnung aus. Sichtlich betrübt sitzt er nun wieder in der Straßenbahn, als der Fahrkartenkontrolleur beim Anblick seines Tickets verärgert den Kopf schüttelt. "Na hören Sie mal, das ist aber schon seit fünf Tagen abgelaufen, mein Herr." Widerwillig und ängstlich zugleich nimmt Otto den Strafbescheid über 60 Euro an und lässt ihn behutsam in seine Aktentasche gleiten.

Doch wie aus dem Nichts taucht der garstige Junge wieder auf und boxt Otto ein zweites Mal in den Quell seiner Erben. Da kann sich der Kontrolleur einen heiteren Kommentar nicht verkneifen: "Tja wissen Sie, Kinder sind wie Fahrkarten. Immer zu teuer und meistens auch die falschen." Otto ist zwar ein wenig betrübt, freut sich aber über die Anteilnahme des Kontrolleurs. Schließlich fahren sie beiden in einen schönen Sonnenaufgang. Hach, diese Sommergefühle!

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